Vor 117 Jahren wurde in Stuttgart ein Theaterprojekt von internationaler Strahlkraft auf den Weg gebracht: der Bau des heutigen Opernhauses am Oberen Schlossgarten, des sogenannten Littmann-Baus. Mit dem Start des Realisierungswettbewerbs für seine Sanierung, Modernisierung und Erweiterung, beginnt nun ein weiteres Kapitel in der Geschichte des größten Dreispartenhauses der Welt.
Der Architekturwettbewerb für die Sanierung und Modernisierung des Opernhauses in Stuttgart ist gestartet. In seiner Sitzung am Montag dieser Woche in der Staatsgalerie Stuttgart hat das Preisgericht die Auslobungsunterlagen verabschiedet. Sie bilden die Grundlage für den Wettbewerb der 30 teilnehmenden Architekturbüros.
Die Sanierung und Erweiterung des denkmalgeschützten Littmann-Baus ist, neben dem Interimsstandort an den Wagenhallen in Stuttgart-Nord und dem Werkstattneubau in Bad Cannstatt, das prominenteste von insgesamt drei Teilprojekten. Nach dem bereits vor wenigen Tagen erfolgten Projektbeschluss für die vertiefte Planungsphase für den Werkstattneubau im Stuttgarter Gemeinderat und beim Land markiert der Architekturwettbewerb des Opernhauses einen weiteren wichtigen Meilenstein für das Gesamtprojekt.
Ein Wettbewerb mit Verantwortung – und Weitblick
Der europaweit ausgelobte Realisierungswettbewerb wird als zweiphasiges Verfahren nach der Richtlinie für Planungswettbewerbe (RPW 2013) durchgeführt. Ziel ist es, den besten Architekturentwurf und das geeignetste Planungsteam für die Umsetzung dieses Jahrhundertprojekts zu finden. Ende 2026 wird das hochrangig besetzte Preisgericht die Siegerentwürfe küren. Zuvor werden die eingereichten Arbeiten von einem unabhängigen Gremium sorgfältig vorgeprüft, mit besonderem Augenmerk auf Funktionalität und größtmöglicher Wirtschaftlichkeit. Christoph Niethammer, Geschäftsführer der ProWST, betont: „Die Verschärfung der Haushaltslage hat auch Auswirkungen auf unser Projekt. Die Identifikation von Einsparpotenzialen, eine realistische Kostenplanung und die laufende Kostenkontrolle gehören zu unseren wichtigsten Aufgaben während des gesamten Prozesses. Wesentliche Grundlage für alle Entscheidungen ist die Betrachtung der Wirtschaftlichkeit“. Neben der Wirtschaftlichkeit verfolgt der Wettbewerb eine Vielzahl weiterer anspruchsvoller Ziele:
• Anstelle des bestehenden Kulissengebäudes soll ein Neubau entstehen. Die Werkstätten ziehen größtenteils nach Bad Cannstatt, da der Platz am Oberen Schlossgarten knapp ist.
• Gefordert ist eine städtebauliche Gesamtkonzeption, die den öffentlichen urbanen Stadtraum aufwertet und Bezüge zur Umgebung schafft. Die Erdgeschosszone soll offen und einladend gestaltet werden.
• Besondere Bedeutung hat die gestalterische Entwicklung der Ecksituation Schillerstraße / Konrad-Adenauer-Straße als Auftakt zur Kulturmeile.
• Theaterbau und Bühnentechnik müssen den hochkomplexen und streng getakteten Arbeitsabläufen der Sparten Oper und Ballett gerecht werden, um die künstlerische Excellenz der Württembergischen Staatstheater auch zukünftig zu gewährleisten.
Auch Anregungen aus Bürgerforen und Workshops sollen in die Planungen einfließen: Räume für Bildung und Vermittlung, multifunktionale Nutzungen, generationenübergreifende Konzepte – und vor allem: die Schaffung eines Ortes, an dem man sich gerne aufhält.
Das Preisgericht setzt sich aus Fach- und Sachpreisrichtenden zusammen, darunter Vertreterinnen und Vertreter des Landes Baden-Württemberg, der Landeshauptstadt Stuttgart, der Württembergischen Staatstheater, der ProWST GmbH sowie von Landtag und Gemeinderat. Unterstützt wird es von Sachverständigen und beratenden Gästen. Die Wettbewerbsbetreuung übernimmt das Stuttgarter Büro kohler grohe Architekten.
Vom Entwurf zum Wahrzeichen: Die Geschichte des Littmann-Baus
Die Geschichte des heutigen Opernhauses beginnt mit einem Brand: 1902 zerstörte ein Feuer das Königliche Hoftheater am Standort des heutigen Kunstgebäudes. Noch im selben Jahr wurde ein Interimstheater errichtet und die Diskussion um einen Neubau begann. Nach jahrelangem Ringen um Standort, Konzept und Finanzierung entschied König Wilhelm II. im Jahr 1907, die neuen Hoftheater auf dem Gelände des Botanischen Gartens zu errichten.
Der Architekturwettbewerb wurde 1908 ausgeschrieben, allerdings nur für in Württemberg geborene oder ansässige Architekten. Ergänzend wurden einige der renommiertesten Theaterarchitekten Deutschlands eingeladen, darunter Martin Dülfer, Karl Moritz, Bruno Schmitz – und Max Littmann. Letzterer hatte sich bereits als „der deutsche Theaterbaumeister“ einen Namen gemacht und begleitete die Planung für den Wettbewerb von Anfang an. Littmanns Idee eines Doppeltheaters – Oper und Schauspiel unter einem Dach – war für die damalige Zeit revolutionär. Trotz anfänglicher Skepsis setzte er sich gemeinsam mit Hofintendant Joachim Gans zu Putlitz durch.
Im Oktober 1908 zeichnete das Preisgericht Littmanns Entwurf aus. Bereits 1912 konnte das Doppelhaus eröffnet werden. Das Ziel war klar: Stuttgart sollte sich als urbane Theaterstadt neben Berlin, München und Dresden behaupten – und aus dem Schatten der Provinz treten.
Der neue Wettbewerb: Zukunft für ein kulturelles Erbe
Mehr als ein Jahrhundert später steht heute das Gebäudeensemble der Württembergischen Staatstheater erneut vor einem tiefgreifenden Wandel. Der Littmann-Bau – identitätsstiftend für Stadt und Land – soll als Aufführungsstätte für Oper und Ballett erhalten bleiben. Zugleich müssen Opernhaus, Verwaltungs- und Kulissengebäude dringend saniert, modernisiert und erweitert werden. Der neue Realisierungswettbewerb ist mehr als ein Bauprojekt – er ist ein kulturelles Versprechen. Ein Versprechen, das Erbe zu bewahren und gleichzeitig mutig in die Zukunft zu denken. Ganz im Sinne Max Littmanns, der einst sagte: „Ein Theater ist nicht nur ein Bauwerk – es ist ein Ausdruck der Gesellschaft, die es trägt“.
Bildnachweis: Matthias Baus
