03.11.2025

Pestel-Institut legt Studie vor: Baden-Württemberg muss beim Wohnungsbau umsteuern

Baden-Württemberg droht in den kommenden Jahren ein dauerhafter Wohnungsmangel. Zu diesem Ergebnis kommt die neue Wohnungsmarktstudie des Pestel-Instituts, die im Auftrag von sieben Verbänden der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft sowie der Arbeitsgemeinschaft Baden-Württembergischer Bausparkassen erstellt wurde. Die Analyse zeigt: Der Wohnungsmangel ist kein vorübergehendes Phänomen, sondern hat sich zu einem strukturellen Problem entwickelt, das tief in Wirtschaft und Gesellschaft hineinwirkt.

„Wohnungsmangel ist die Schlüsselfrage unserer Zeit“

„Der Wohnungsmangel ist die soziale und wirtschaftliche Schlüsselfrage unserer Zeit“, sagt Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts. „In Baden-Württemberg hat sich die Lage in den vergangenen Jahren zugespitzt. Wenn es nicht gelingt, die Neubauzahlen wieder deutlich zu steigern, werden Wohnen, Fachkräftesicherung und wirtschaftliche Entwicklung gleichermaßen in Bedrängnis geraten.“

Aktuell fehlen laut Studie rund 192.000 Wohnungen im Land. In 41 von 44 Stadt- und Landkreisen herrscht ein Defizit oder starker Wohnungsmangel. Nur in den Kreisen Tübingen, Calw und Freudenstadt gilt der Markt als ausgeglichen. Das Defizit entspreche dem Wohnungsbau von etwa vier Jahren und werde sich bei stagnierenden Baugenehmigungen weiter vergrößern.

Nachfrage hoch, Angebot blockiert

Seit 2010 ist die Bevölkerung in Baden-Württemberg um mehr als sieben Prozent, die Zahl der privaten Haushalte sogar um fast elf Prozent gestiegen. Gleichzeitig sank die durchschnittliche Haushaltsgröße von 2,19 auf 2,11 Personen, während die verfügbare Wohnfläche pro Kopf auf 48,7 Quadratmeter zunahm (zuvor 44,0 m2). „Die Haushaltsbildung stockt, weil die Wohnungen fehlen. Junge Menschen bleiben länger im Elternhaus, Familien finden keine passende Wohnung und ältere Menschen ziehen mangels Alternativen nicht aus zu großen Wohnungen aus. So verfestigt sich die Knappheit“, erklärt Günther.

Auch der Langzeitleerstand verschärft das Problem. Laut Zensus 2022 lag die Leerstandsquote bei 4,3 Prozent, doch über die Hälfte der leerstehenden Wohnungen war länger als zwölf Monate unbewohnt – oft wegen Sanierungsbedarf oder Erbstreitigkeiten. „Dieser sogenannte Langzeitleerstand ist ein Trugbild von Reserveflächen – real hilft er den Wohnungssuchenden nicht“, so Günther.

Wachsende soziale Schieflage

Besonders kritisch sieht das Institut die soziale Polarisierung. Rund 800.000 Haushalte gelten als armutsgefährdet, während es nur noch 55.000 Sozialwohnungen gibt – bei 1,3 Millionen Haushalten mit Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. „Das Land hat einen massiven Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Viele Haushalte mit normalen Einkommen können sich in den Ballungsräumen kaum noch eine Wohnung leisten. Das ist kein Randthema – das betrifft die Mitte der Gesellschaft“, warnt Günther.

Hohe Baukosten und teures Bauland

Bei den Baukosten liegt Baden-Württemberg bundesweit an der Spitze. Zwischen 2008 und 2024 stiegen sie um 70 bis 80 Prozent – deutlich stärker als die Inflation. Parallel haben sich die Baulandpreise auf 357 Euro pro Quadratmeter mehr als verdoppelt. „Die Preisentwicklung zeigt, dass es an der Zeit ist, die im Zeitablauf stetig gestiegenen Anforderungen an Wohngebäude zu hinterfragen“, so Günther. Die Einführung des Gebäudetyps E und eine Orientierung am Hamburg-Standard könnten helfen, Kosten zu senken.

Bestandssanierung als doppelte Chance

Rund 60 Prozent der Wohnungen wurden vor 1980 errichtet. Dabei biete die energetische Modernisierung des Bestands eine doppelte Chance: Sie schaffe Klimaschutz und entlaste den Wohnungsmarkt durch die Verlängerung der Nutzungsdauer. Dafür brauche es aber Planungssicherheit und verlässliche Förderbedingungen.

Vorschläge für mehr Wohnraum

Das Pestel-Institut nennt sieben zentrale Handlungsfelder: mehr Mittel für sozialen Wohnungsbau, ein zinsgünstiges Landesdarlehensprogramm, kostensenkende Baustandards, gezielte Eigentumsförderung, mehr Seniorenwohnangebote, stabile rechtliche Bedingungen für Vermieter und eine Senkung der Grunderwerbsteuer.
„Baden-Württemberg hat die Chance, als eines der wirtschaftlich stärksten Bundesländer den Wohnungsbau beispielgebend für andere zu forcieren. Die Profilierung des Landes als Vorreiter im Wohnungsbau ist dringend erforderlich, um der Bevölkerung und den Unternehmen eine Perspektive zu geben“, ist Günther überzeugt.

Reaktionen der Auftraggeber

Die Arbeitsgemeinschaft Baden-Württembergischer Bausparkassen fordert eine „echte Eigentumsoffensive“. „Wohneigentum ist kein Luxus, sondern ein Garant für soziale Stabilität und verlässliche Altersvorsorge. Gerade junge Menschen scheitern oft nicht am Willen, sondern an hohen Nebenkosten und fehlendem Eigenkapital“, betont Stefan Siebert, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Baden-Württembergischer Bausparkassen und Vorstandsvorsitzender der LBS Süd.

Die Bauwirtschaft Baden-Württemberg verweist auf die Landesbauordnung: „Die Novelle der LBO zeigt in die richtige Richtung: schnellere Genehmigungsverfahren, Entbürokratisierung durch zügige Umsetzung der Genehmigungsfiktion. Jetzt muss diese von den Bauämtern nur noch umgesetzt werden“, so Hauptgeschäftsführer Thomas Möller.

Der BFW Baden-Württemberg fordert bezahlbares Bauland und stabile Rahmenbedingungen. „Der Mittelstand braucht keine staatliche Förderung, sondern kostengünstige Baustandards, stabile finanzielle und politische Rahmenbedingungen“, sagt Gerald Lipka, Geschäftsführer des BFW.

Auch die Eigentümerverbände Haus & Grund Baden und Haus & Grund Württemberg sehen die Politik in der Pflicht: „Nur gemeinsam lassen sich die Herausforderungen bewältigen. Die Politik braucht die privaten Eigentümer als Partner, nicht als Gegner.“

Der IVD Süd mahnt mehr Impulse an: „Jetzt braucht es verlässliche politische Impulse, um die Bautätigkeit anzukurbeln und den Erwerb von Wohneigentum zu erleichtern – etwa durch eine Befreiung der ersten Immobilie von der Grunderwerbsteuer“, sagt Sacha Volz, Geschäftsführer des IVD Süd.

Die KoWo BW fordert eine 1:1-Kofinanzierung der Bundesmittel im sozialen Wohnungsbau: „Ohne verlässliche Fördermittel geht es nicht! Um den sozialen Wohnungsbau zu stärken, muss das Land die Bundesmittel 1:1 kofinanzieren“, betont Dr. Frank Pinsler.

Der vbw Verband baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen plädiert für einfachere Standards: „Bauen ist in den letzten Jahren zu teuer geworden. Wir müssen wieder einfacher bauen, mit reduzierten Standards und niedrigeren Kosten. Der ‘Hamburg-Standard’ gibt hier eine sinnvolle Orientierung“, sagt Verbandsdirektorin Dr. Iris Beuerle.

Bildnachweis: GettyImages


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